Missbrauch: Angeklagter wollte aus U-Haft
Der wegen schwerem sexuellen Missbrauchs an Kindern angeklagte Psychologe Walter P. (74) hält die Justiz weiter auf Trab, beschäftigte sogar das Bundesverfassungsgericht.
Von Michi Jo Standl
+++ Update 11. Dezember 2020: Der Angeklagte wurde vom Landgericht Saarbrücken verurteilt. Lesen Sie mehr dazu hier. +++
Saarbrücken. Der Psychologe Walter P. ist vor der Großen Jugendkammer II des Landgerichts Saarbrücken angeklagt. Der schwere Vorwurf: Er soll zwischen 2004 und 2006 einen damals minderjährigen Jungen missbraucht haben. Dieser war bei dem Diplom-Psychologen in Langzeit-Therapie. Bereits vor acht Jahren beschäftigte der Fall das Gericht. Er wurde damals zu sechs Jahren Haft verurteilt. Doch dann die Wende: Der Bundegerichtshof (BGH) hob 2012 das Urteil auf und gab die Sache an das Saarbrücker Landgericht zur Neuverhandlung zurück. Die Begründung: Angebliche Rechtsfehler. P. war vorläufig ein freier Mann. Doch in Saarbrücken konnte man nicht neu verhandeln, denn der Psychologe hatte ein Attest eines Saarbrücker Psychiaters in Händen, das ihm Verhandlungsunfähigkeit bescheinigte. Es wurden ihm Depression und Angstzustände attestiert. Der Beschuldigte hatte es sich selbst anfertigen lassen. Nachdem das Landgericht erst im April dieses Jahres ein psychiatrisches Gutachten beauftragt hatte, konnte im September der Prozess neu beginnen. Denn dem Gutachten zufolge ist P. verhandlungsfähig! Der Versuch des Angeklagten, in einem ausschweifenden Brief an das Landgericht die Beurteilung seines psychischen Zustandes zu relativieren, scheiterte. Unter anderem berief sich P. darin auf seine „suizidalen Tendenzen und Absichten“ sowie auf „soziale Phobien, Schulangst und depressive Phasen“ in seiner frühen Kindheit. Bis zum Verhandlungsbeginn war er nach wie vor auf freiem Fuß. Zum ersten Termin erschien er nicht, wurde auf Anordnung des Vorsitzenden Richters Ralf Schwinn in einer exklusiven Privatklinik in Bayern festgenommen.
Kein neues psychiatrisches Gutachten
Derzeit deutet vieles darauf hin, dass P. im Falle einer Verurteilung zu einer Haftstrafe verurteilt werden könnte und nicht in einer psychiatrischen Klinik landet. Verteidiger Lars Nozar hatte seit Beginn des neuen Prozesses immer wieder darauf hingewiesen, dass sein Mandant nicht verhandlungsfähig sei. Eine der Begründungen: Er bekäme gar nicht mit, was während den Verhandlungen gesprochen wird. Der Saarbrücker Rechtsanwalt stellte einen Antrag auf ein erneutes psychiatrisches Gutachten. Dieser wurde nun vom Gericht abgelehnt. Richter Schwinn begründete die Entscheidung damit, dass der Angeklagte auf Ansprache reagiere. Denn P. folgt immer sofort der Aufforderung, seinen wohl aus Angst vor Pressefotografen über den Kopf gezogenen Pullover runterzuziehen. So auch vor der Verhandlung am Dienstag. Nach dem Hinweis seines Verteidigers, dass „niemand mit Fotos“ da sei, reagierte P. sofort und zog den Pullover vom Kopf. Auch an den schlechten körperlichen Zustand des Angeklagten glaubt der Richter nicht.
P. beschäftigte Bundesverfassungsgericht
Im Oktober dann der nächste Versuch des Angeklagten, sich aus den Mühlen der Justiz auszuklinken, zumindest augenscheinlich. Er hatte beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beantragt, aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. Ohne Erfolg: Die Karlsruher Richter wiesen den Antrag zurück.
Gericht lässt Buch des Angeklagten als Beweis zu
Der Anwalt der Nebenklage, Prof. Dr. Christian Laue – er vertritt das mutmaßliche Opfer – hatte einen Antrag gestellt, dass ein Buch, das der Beschuldigte 2019 veröffentlicht hatte, als Beweis zugelassen wird (Lesen Sie auch: Die verstörenden Thesen des Angeklagten P.). In dem Werk relativiert der Angeklagte Pädophilie, vergleicht Missbrauchsprozesse mit Hexenprozessen. Laue will damit beweisen, dass Walter P. nicht krank, sondern ein echter Pädophiler ist, sich mit der Pädophilenbewegung identifiziert. Beim Verhandlungstermin am Dienstag hat das Gericht den Beweis zugelassen. Nun müssen der Staatsanwalt und die Rechtsanwälte den Schmöker wälzen. Die Schöffen haben das Buch bereits gelesen. Der Prozess wird fortgesetzt.
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