Missbrauchsopfer
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Crime

Missbrauchsopfer: „Ich hatte Angst, dass mir das gleiche passiert wie Pascal“

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Die Psychotherapeutin des mutmaßlichen Opfers des Psychologen Walter P.  lässt in die Seele ihres ehemaligen Patienten blicken. Der Name Pascal, der Saarbrücken nicht mehr los lässt, fiel – im durch den Pascal-Prozess bekannt gewordenen Saal 38 des Saarbrücker Landgerichtes.

Von Michi Jo Standl

+++ Update 11. Dezember 2020: Der Angeklagte wurde vom Landgericht Saarbrücken verurteilt. Lesen Sie mehr dazu hier. +++

Saarbrücken. Gerichtsprozesse um sexuellen Missbrauch erregen mediale Aufmerksamkeit. Meist ist der Fokus auf die Angeklagten gerichtet. Aber wie geht es den Opfern? Der damals minderjährige Alexander* soll zwischen 2004 und 2006 vom Saarbrücker Psychologen Walter P. in dessen Praxis und auch in der Wohnung des heute 74-Jährigen mehrmals missbraucht worden sein. (K’RUF berichtete). Alexander war damals bei P. wegen einer Lese- und Schreibschwäche  in Langzeittherapie. Der Psychologe ist seit September vor der Jugendkammer II des Saarbrücker Landgerichtes angeklagt. Bereits vor acht Jahren musste sich P. für die mutmaßlichen Taten verantworten. Doch der Bundesgerichtshof hob 2012 das Urteil, das eine sechsjährige Haftstrafe vorsah, auf und gab es zur Neuverhandlung nach Saarbrücken zurück. Der Grund: Angebliche Verfahrensfehler. Aufgrund einer attestierten langjährigen Verhandlungsunfähigkeit des Beschuldigten kann der Fall erst jetzt wieder verhandelt werden. Am Freitag war Alexanders Psychotherapeutin, bei der Alexander von 2010 bis 2014 in Behandlung war, als Zeugin geladen. Sie lässt mit einer teilweisen Entbindung der Schweigepflicht in der Hand tief in Alexanders Seele blicken.

Hochbegabt und früh interessiert

Alexander gilt trotz seiner damaligen Lese- und Schreibschwäche als hochbegabt. Doch seine Seele und auch seine schulischen Leistungen stürzten nach den mutmaßlichen Missbrauchsvorfällen ab.  Er verlor jeglichen Lebensmut als auch seine Zukunftspläne. Seine Therapeutin spricht sogar von suizidalen Zügen. Er zog sich immer weiter zurück. Sie diagnostizierte eine schwere posttraumatische Belastungsstörung.  Zudem hatte er Angst vor alten Männern. „Ich habe noch nie so eine schwere Traumatisierung gesehen wie bei Alexander“, sagte die erfahrene Psychologin, die sich schon öfters um Kinder mit ähnlichen Schicksalen kümmerte. Anhand einer sogenannten Lebenslinie ging die Therapeutin zusammen mit Alexander dessen Leben durch, beginnend mit der Geburt. Eine Lebenslinie ist in der Psychotherapie ein Zeitstrahl, an dem die Patienten markante Ereignisse markieren. Diese werden immer wieder durchgegangen, bis eine Verarbeitung festgestellt werden kann.“ Er offenbarte vieles, wie etwa Umzüge oder die Trennung der Eltern, doch über die mutmaßlichen Missbauchsvorfälle berichtete nur über eines“, so die Psychologin. Über die anderen mutmaßlichen Missbräuche konnte Alexander einfach nicht sprechen.

Alexander war wieder bei P. Dieser soll an jenem Tag die Tür verschlossen und die Hose geöffnet haben. Danach soll der Psychologe von Alexander verlangt haben, seinen Penis zu masturbieren. Die Therapeutin des Opfers erläutert: „Alexander erzählte mir, er habe Angst gehabt, dass ihm das gleiche passieren würde wie dem kleinen Pascal.“ Der Saarbrücker Junge Pascal verschwand am 30. September 2001 im Alter von fünf Jahren im Stadtteil Burbach spurlos. 2003 wurden die Wirtin Christa W. und elf Stammgäste aus ihrer Bierkneipe „Tosa-Klause“ angeklagt. Im Hinterzimmer soll er laut der damaligen Anklage missbraucht und getötet worden sein – keine Leiche, ein bis heute vermisstes Kind. Nach einem langwierigen Prozess wurden 2007 alle Beschuldigten freigesprochen. Nur ein Mann wurde in einem abgetrennten Verfahren wegen Missbrauchs zu sieben Jahren Freiheitsstrafe und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Trotz seines damals jungen Alters hatte Alexander die Medienberichte über den Pascal-Prozess im Fernsehen verfolgt.  Der Zeitraum des Prozesses war in dem jenem, in dem Alexander selbst missbraucht worden sein soll. Erst nach Ende des Pascal-Prozesses kam der vermeintliche Missbrauch an Alexander ans Tageslicht. „Er beschäftigte sich während der ganzen Zeit mit solchen Sachen“, berichtet die Therapeutin aus Alexanders Erzählungen. Ihm gingen auch Ereignisse wie etwa der Missbrauchsskandal in der hessischen Odenwaldschule oder der Amoklauf des Norwegers Anders Breivik 2011 nahe. „Alexander recherchierte auch selbst im Internet nach Themen rund um Psychotherapie und Missbrauch“, erzählt die Psychologin im Zeugenstand des historischen Saal 38 des Saarbrücker Landgerichtes, der – durch den Pascal-Prozess traurige Berühmtheit erlangte.

Alexander blickt positiv in die Zukunft

Nach der Therapie wurde Alexanders psychischer Zustand besser, auch in der Schule ging es bergauf. Er machte seinen Abschluss und absolvierte ein Studium mit technischer Ausrichtung. Doch das gefiel ihm nicht. „Ich will Menschen helfen und nicht ausnehmen“, sagte er in seiner Aussage in einer der vergangenen Verhandlungen. Er engagiert sich in der Freiwilligen Feuerwehr, ist bei den Kameraden sehr beliebt. Sein nächstes Ziel: Er will Polizist werden!

Der Prozess wird fortgesetzt.

*Name geändert

Lesen Sie auch: Pädophilie: Die verstörenden Thesen des Angeklagten P.

Michi Jo Standl
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