Gerichtsberichterstattung: Deshalb darf ein Angeklagter sein Gesicht vor Fotografen verstecken
Typisches Bild: Ein Beschuldigter betritt in Begleitung von Justizwachebeamten den Gerichtssaal, sein Gesicht hinter einem Aktendeckel versteckt. Doch darf er das und warum macht er das?
Von Michi Jo Standl
Die Rolle von Medien bei Strafprozessen ist, über den Sachverhalt zu berichten und die Öffentlichkeit darüber zu informieren. Das gebietet das öffentliche Interesse und die Pressefreiheit. Je spektakulärer ein Fall ist, desto höher ist das Interesse und desto mehr Medienvertreter erscheinen im Gerichtssaal. Das ist auch im Sinne der Justizbehörden. Journalisten finden meist eigene Plätze mit Tisch vor, um ordentlich arbeiten zu können. Dennoch unterliegen sie den Entscheidung des „Chefs“ des Gerichtssaales, dem vorsitzenden Richter.
Dabei sind Medienvertreter mit privaten Zuschauern gleichgestellt. Wenn der Richter entscheidet, die Öffentlichkeit von einer Verhandlung ganz oder zeitweise auszuschließen, gilt das auch für Journalisten. Auch sie haben dann den Saal zu verlassen. Da in Deutschland die Bürger ein Recht auf Information haben und „Geheimjustiz“ vermieden werden soll, braucht es für den Ausschluss der Öffentlichkeit gesetzlich genau definierte Gründe.
Medien sind kein Pranger
Die Aufgabe von Journalisten und Fotografen ist nicht, einen Beschuldigten an den Pranger zu stellen. Das ergibt sich auch aus der Unschuldsvermutung. Ein Angeklagter gilt so lange als unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist und das Gericht ein Urteil spricht. Wie eingangs erwähnt: Es geht bei der Berichterstattung darum, die Öffentlichkeit über Fälle und deren Sachverhalte zu unterrichten – um nicht mehr und nicht weniger.
Journalisten sind genauso Menschen wie Richter und Staatsanwälte auch. Gerade bei „widerwärtigen“ Delikten, wie etwa Kindesmissbrauch, fällt es schwer, Contenance zu bewahren und keine Gefühle zu zeigen. So wie Gerichte beweisbasiert und neutral urteilen müssen, sollten Journalisten möglichst objektiv berichten, was zugegebenermaßen nicht immer leicht fällt. Medien handhaben das unterschiedlich. Manche führen den Angeklagten schon in der Überschrift gewissermaßen vor, andere berichten einfach. Zugegeben aus Sicht eines Journalisten: Es geht natürlich auch um den Verkauf, heute um Klicks. Medien leben davon, Journalisten und Fotografen bestreiten mit der Berichterstattung ihren Lebensunterhalt.
Dass Medien Fotografen zu Gerichtsverhandlungen schicken, hat weniger damit zu tun, das Gesicht des Angeklagten einzufangen und den Lesern „zum Fraß vorzuwerfen“. Das hat mehr oder weniger Marketinggründe. Man will zeigen, dass man aktuell ist und auch bei Gericht vor Ort war. Ein aktuelles Foto sieht einfach besser aus, als ein Symbolbild, etwa eines Richterhammers. Am Rande: Liebe deutsche Bildredaktionen, dieser findet sich natürlich in internationalen Bilddatenbanken, in Deutschland findet der Hammer bei Gericht allerdings keine Verwendung.
Wer darf in Medien gezeigt werden?
Grundsätzlich sind sowohl Fotos als auch Film- und Tonaufnahmen nur vor der Verhandlung erlaubt. Nachdem der Richter die Sitzung eröffnet hat, müssen Fotokameras, Filmkameras und Mikrophone ruhen. TV-Kameraleute senken ihre Kameras auf Stativen auch oft nach unten, damit der Richter sicher gehen kann – dem guten Verhältnis zwischen Justiz und Medien zuliebe.
Meist wird der Beschuldigte auf dem Flur, beim Betreten des Saales oder auf seinem Platz fotografiert. Das Foto muss vor der Veröffentlichung verfremdet werden – durch verpixeln, Unschärfe oder durch einen schwarzen Balken. Obwohl der Balken meist schwarz ist, bewegt er sich im Graubereich. Denn es muss ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte in irgendeiner Weise identifizierbar ist. Zu diesem Zweck eignet sich eine komplette Verpixelung mehr als ein Augenbalken. Dazu gehört auch, dass im Zweifelsfall zum Beispiel ein auffälliges Tattoo verpixelt werden sollte. Da Medien die Verfremdung unterschiedlich handhaben, verdecken manche Angeklagte ihr Gesicht, wenn sie den Gerichtssaal betreten. In der Praxis sieht das so aus: Der Verteidiger ist meist vor seinem Mandanten im Saal. Wenn dieser in Begleitung von Justizwachebeamten auf dem Weg zur Verhandlung ist, geht ihm der Anwalt unter Umständen entgegen, um ihm mitzuteilen, ob Fotografen anwesend sind. Bei Beginn der Sitzung, muss er sein Gesicht zeigen. Dann darf aber auch nicht mehr fotografiert werden.
Zeugen, Opfer und etwa Nebenkläger dürfen ohne Einverständnis dieser übrigens ebenfalls nicht gezeigt werden.
Wer muss nicht verpixelt werden?
Im Prinzip gilt für jeden Menschen, so auch für Beteiligte an einem Strafverfahren, das so genannte „Recht am eigenen Bild“. Das heißt: Auch Richter und Anwälte dürfen darüber selbst entscheiden, ob sie fotografiert werden wollen oder nicht.
In der Praxis wird es aber keine Einwände geben. Richter haben aus ihrer Position heraus meist Verständnis für das öffentliche Interesse, für Rechtsanwälte bedeuten gerade aufsehenerregende Prozesse auch „Werbung in eigener Sache“. So dürfen im Regelfall andere Prozessbeteiligte fotografiert werden. Dazu zählen:
- Richter
- Rechtsanwälte
- Staatsanwälte
- Sachverständige, wie zum Beispiel psychiatrische Gutachter
Fazit: Dürfen Angeklagte ihr Gesicht vor Fotografen verbergen?
Ja, natürlich dürfen sie das. Bis zum Urteil gilt die Unschuldsvermutung. Was, wenn sich herausstellt, das er unschuldig ist? Aber: Auch nach einem Schuldspruch darf ein Täter nicht öffentlich gezeigt werden. So schlimm eine Tat ist, den Pranger gibt es in einem modernen Rechtsstaat nicht mehr. Spätestens bei der Eröffnung der Sitzung müssen Angeklagte ihr Gesicht zeigen. Dann darf allerdings ohnehin nicht mehr fotografiert werden. Wenn ein Beschuldigter auf das Verdecken seines Gesichtes verzichtet, muss das Foto in einem Medium so verfremdet sein, dass er nicht identifizierbar ist. Lesen Sie hier: In Saarbrücken vermisster Pascal – das Protokoll: So hat seine Tante den 30. September 2001 erlebt
Der Artikel stellt keine Rechtsberatung dar. Er entstand aufgrund meiner praktischen Erfahrungen.
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