Missbauchsopfer: Pascal-Freund Bernhard Müller: „Ich lasse mich nicht mobben“
In einem bewegenden Live-Video spricht Bernhard Müller, Freund des seit 2001 in Saarbrücken vermissten Pascal und damals selbst Missbrauchsopfer, über den Fall, Mobbing und unwahre Behauptungen.
Von Michi Jo Standl
Saarbrücken. Am 30. September 2001 verschwindet der damals fünfjährige Pascal Zimmer im Saarbrücker Stadtteil Burbach bis heute spurlos. Zum letzten Mal wird der Junge, der aus sozial schwachen Verhältnissen stammt, auf dem „Burbacher Oktoberfest“, das zu diesem Zeitpunkt auf den sogenannten Saarterrassen abgehalten wird. Großangelegte Suchaktionen in Saarbrücken und dem nahegelegenen Frankreich verlaufen ohne Ergebnisse. 2002 gerät die Burbacher Schmuddelkneipe „Tosa-Klause“ nach Hinweisen von Bernhard Müller in den Fokus der Ermittler. Die Wirtin Christa W. soll Kinder im Hinterzimmer an Stammgäste „verkauft“ haben. Der schwerwiegende Verdacht: Pascal soll dort missbraucht und anschließen getötet worden sein. 2004 beginnt ein Monsterprozess gegen die Wirtin und elf ihrer Stammgäste. Der Prozess endet 2007 mit Freisprüchen mangels Beweisen. In einem abgetrennten Verfahren kommt es 2003, also noch vor Beginn des Mordprozesses, „lediglich“ zu einem Urteil wegen Missbrauchs an Pascal und seinem Freund Bernhard Müller.
Bernhard sucht die Öffentlichkeit
2011 initiiert die „Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen“ den „Gedenkstein gegen das Vergessen“. Er erinnert an Pascal und alle missbrauchten Kinder. Die Gestaltung übernimmt der Künstler Bruno Harich. Der Stein steht auf dem Friedhof im saarländischen Schwalbach. Nachdem der Vorsitzende der Initiative, Johannes Heibel, jahrelang einen Platz für die Stele gesucht hatte, vor allem natürlich in Saarbrücken, erklärt sich 2017 der Schwalbacher Pfarrer Hans-Georg Müller bereit, dass das Mahnmal auf „seinem“ Friedhof einen würdigen Platz finden kann. Bei der Einweihung bekommt „Tobias“, wie Bernhard anonymisiert lange von den Medien genannt wird, zum ersten mal ein Gesicht. Er hält eine bewegende Rede für seinen Freund Pascal.
„Viele Leute sprechen mir mein Schicksal ab“
Bernhard betreibt einen Blog und eine Facebook-Seite. Diese Aktivitäten helfen ihm dabei, das Schreckliche zu verarbeiten. Am 21. Februar 2021 dann ein für ihn weiterer wichtiger Schritt: Er stellt sich in einem Facebook-Live-Video Fragen von Usern, redet darüber wie es ihm heute geht, über seinen Umgang mit dem „Fall Pascal“ und auch über Corona. Aufgrund der Pandemie muss er derzeit mit seinen Therapiesitzungen pausieren. „Das macht sich bei mir bemerkbar“, gesteht er ein. Was er zum Einstieg erzählt, macht besonders fassungslos. „Ich bekomme immer wieder Mails, in denen mir Leute das absprechen, was ich erlebt habe“, so der heute 26-Jährige. „Das ärgert mich und raubt mir viel Energie“. Er empfiehlt ihnen dann, sich mit dem Fall zu beschäftigen, damit sie wissen, was er erlebt hat. „Viele wollen es nicht verstehen, ich lasse mich aber nicht mobben.“ Auch ein zweiter Vorwurf, der eigentlich keine Rolle spielen dürfte, ärgert ihn: Es wird oft behauptet, Pascal sei gar nicht sein Freund gewesen. Sie hätten sich nur des Öfteren zum Spielen getroffen. Auch darauf hat Bernhard Müller eine klare Antwort: „Er war für mich ein guter Freund!“
„Die Behauptung, Pascal und ich seien nicht missbraucht worden, ist nicht wahr“
Über die Diskussion um den „Gedenkstein gegen das Vergessen“ macht sich Bernhard auch Gedanken. Auf die Frage, warum das Mahnmal in Saarbrücken, dem eigentlichen Ort der schlimmen Geschehnisse, keinen Platz gefunden hat, antwortete er: „Es wurde auch hier behauptet, Pascal sei nicht missbraucht worden“. Auf eine Anfrage der Initiatoren des Gedenksteines an die Stadt Saarbrücken 2011 nach einem geeigneten Platz zeigt die damalige Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD) Unverständnis, lehnt sogar ein Treffen ab. Eines ihrer Argumente: Das Schicksal Pascals sei nicht aufgeklärt worden. Die „Saarbrücker Zeitung“ zitierte sie damals: Auf einem Denkmal von sexuellem Missbrauch auszugehen sei also falsch. „Das ist nicht wahr“, sagt Bernhard Müller. „Pascal und ich sind missbraucht worden.“
„Die Vorwürfe gegen mich rauben mir viel Energie.“
Bernhard Müller, Missbrauchsopfer
Verurteilung wegen Missbrauchs an Pascal und Bernhard
Die Aussage Charlotte Britzs ist in Zusammenhang mit Missbrauch nicht richtig. Denn lediglich der Mord an Pascal kann in dem langwierigen Prozess nicht bewiesen werden, deshalb die Freisprüche. Doch für den Missbrauch an Pascal und Bernhard wird der damals 49-jährige Peter S., am 17. Oktober 2003 von der Jugendkammer IV des Landgerichtes Saarbrücken zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Des weiteren ordnet der Richter die anschließende Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Nach der Aussage von Britz wäre im Umkehrschluss Peter S. unschuldig verurteilt worden. Oder kennt die ehemalige Sozialdezernentin einen der aufsehenerregendsten Kriminalfälle Deutschlands, der sich in ihrer Heimatstadt abgespielt hat, zu wenig?
Bernhard wünscht sich nichts sehnlicher, als dass der Fall aufgeklärt wird. „Vor allem zur Genugtuung der Hinterbliebenen“, wie er sagt. Pascals Eltern sind beide tot. Seine Mutter stirbt 2005, noch während des Prozesses, an Hirnblutung, sein Vater nur gut zwei Wochen später nach einer Schlägerei in einer Kneipe im von Saarbrücken-Burbach etwa 15 Kilometer entfernten Püttlingen an einem Herzinfarkt. Zu den Hinterbliebenen Pascals zählen noch eine Tante und zwei Stiefschwestern.
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